"Walzerdelirium" w>m (49 Jahre)
Ostern 2001. Wir feiern es zu dritt: meine Mutti, meine Tochter und ich. Natürlich gehört das Suchen dazu. Mein „Osterei“ ist zu gut versteckt. Trotz der üblichen „kalt“ – „warm“ –„heiß“– Unterstützung finde ich es zunächst nicht. Dann entdecke ich doch noch an der Rückseite der Übergardine einen mit Stecknadel befestigten Briefumschlag. Darin eine Eintrittskarte für ein Konzert von Tim Fischer in Dresden. Mich hatte der androgyne Sänger, den ich einige Male im Fernsehen gesehen hatte, schon lange fasziniert. Meine Tochter war kurz vor dem Osterfest in Dresden gewesen, um mit ihrer zukünftigen Ausbilderin letzte Details zu besprechen. Sie hatte Plakate entdeckt, die das Gastspiel Tim Fischers ankündigten und gleich für mich eine Karte gekauft. 14 Tage später fuhr ich also mit ihr gemeinsam nach Dresden. Sie um ihren Ausbildungsvertrag zu unterschreiben, ich, um in der Komödie Dresden das „Walzerdelirium“ zu sehen.
Nach dem Konzert stießen wir im Restaurant der Komödie auf das neue Leben an. Tim Fischer gab am Nebentisch Autogramme und meine Tochter ließ sich eines für mich auf die Eintrittskarte geben.
Noch ein paar Monate, dann würde meine gerade mal 16jährige Tochter also gemeinsam mit ihrem Freund eine eigene Wohnung beziehen und ihre Ausbildung zur Friseurin beginnen - ein großer Einschnitt, nicht nur in ihrem Leben. Auch ich würde mich umstellen müssen, loslassen, aufhören mich zu fragen: Wird sie allein zurecht kommen? ;Ist das alles nicht viel zu viel Verantwortung?; Wird sie nicht Fehler machen, vielleicht gar „unter die Räder“ kommen? Und ich? Werd ich es aushalten, ohne sie? Wird sie mir fremd werden? Wie wird mein Leben aussehen, ohne den täglichen Umgang mit ihr? Ist es vielleicht auch für mich eine Chance?
Inzwischen hat meine Tochter ihre zweite Lehre abgeschlossen. Jetzt arbeitet sie in ihrem Traumberuf und ist mit ihrem nunmehr 26 Lenzen öfter umgezogen, als ich in meinem ganzen Leben.
Ich war noch einmal in einem Tim-Fischer-Konzert. Diesmal mit ihr gemeinsam. Auch von diesem Abend habe ich ein Autogramm. Aber das vom 28. April 2001 bedeutet mir sehr viel mehr, weil es mich daran erinnert, wie meine Tochter begann, ihre eigenen Wege zu gehen, und wie ich lernte, dass eine Trennung auch eine Annährung bedeuten kann. |